Ich arbeitete ein Jahr lang in einem Buchladen, und ich habe dort Erfahrungen gesammelt, von denen mich manche überraschen. Ich habe viel über Menschen gelernt, und auf manches davon hätte ich gerne verzichtet. Und ich habe viel über mich gelernt. Und darüber, was ich gerne mache, aber auch, auf was ich verzichten könnte.
Satzscherben
Kurzgeschichten.
Sonntag, 31. Mai 2015
Sonntag, 21. Dezember 2014
Am Rand der Klippe
Von Sabine
Alles schon gedacht. Jede Gestalt
schon verbraucht. Gestaltwandlerin ohne Gestalt. Verzweifelt gehe ich einen
Schritt vor und blicke über den Rand der Klippe. Mich schwindelt und ich taumle wieder zurück.
Alle meine Gedanken aufgebraucht… Ich erinnere
mich daran, Wasser gewesen zu sein, verschwendet in einer
wahllosen Dummheit der Jugend, Berge in einer Schlacht zu dunkler Stunde, Feuer
in verzweifelter Not, Sturmwind, um ein Kind Drachen steigen zu lassen. All dies
schon vor langer Zeit und nun versuche ich an etwas zu denken, einen Aspekt,
den ich noch nicht gedacht habe. Doch so sehr ich auch versuche mich davon zu überzeugen, dass die glitzernden Wogen des Meeres etwas
anderes sind als die Sturmwellen, die ich einmal war, will mein Kopf nicht hören.
Ich habe über Gebühr gelebt.
Sonntag, 21. September 2014
Halbschatten
Von Katharina
Sie war nervös. Es war nicht ihr erster Auftrag, dennoch hatte sie die
Nervosität nie verlassen. Sie spähte die Straßen entlang. Keine Obhut zu sehen,
nur selten schwebte beinahe lautlos ein Luftschiff über ihr vorbei. In den
mittleren Ebenen der Stadt war es um diese Uhrzeit immer ruhig, hier befand
sich der idyllische Wohnbereich der Primas. Man fühlte sich hier sicher – und
war es auch, schon die Ebene zu betreten, erwies sich als schwierig für jeden,
der unter den Primas stand. Ein gewöhnlicher Malefikant würde es niemals wagen,
hier einzudringen, und wäre er wahnwitzig genug, würde er scheitern.
Donnerstag, 21. August 2014
Das wahrsprechende Ungeheuer
Von Sabine
Eines Tages, als der Professor in sein Labor kam, stellte er
fest, dass sein Biest verschwunden war. Der Professor lebte zu einer Zeit, als
es noch zum guten Ton für jeden Professor von Namen gehörte, an etwas zu experimentieren,
das sowohl nutzlos als auch abscheulich war.
Doch wie es der Zufall wollte, hatte gerade dieses Biest
eine sehr spezielle und – wie der Professor fand – eine sehr unanständige Gabe:
Es sagte immer nur die Wahrheit.
Verständlicherweise erschütterte dieser Fund – oder besser Nichtfund – den Professor über alle Maßen. Seit jener verhängnisvollen Gewitternacht vor vielen Jahren, in der seine Frau gestorben und sein kleiner Junge verunglückt war, war das Biest sein stetiger und – wenn auch unfreiwillig – treuer Mitbewohner gewesen. Zunächst tat er das, was er immer zu tun pflegte, wenn es etwas nachzudenken gab. Er schenkte sich ein Glas Sherry ein und nahm seine Studierpfeife – die beste all seiner Pfeifen – zur Hand. Dies war seit Jahren die Pose, in der ihm die besten Ideen kamen. Die Pfeife selbst hatte er noch nie entzündet oder auch nur zum Mund geführt. Doch dieser vielversprechenden Positur zum Trotz wollte ihm nicht einfallen, was zu tun sei. Das Biest war weg, es gab keine Spuren, die einen Hinweis hätten geben können. Es blieb ihm nichts anderes als zu warten, bis aufgebrachte Nachbarn das Biest fanden und es mit Mistgabeln wieder zu ihm trieben. Es war nicht das erste Mal, dass ihm eines seiner Experimente entwischt war.
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